Bundeskabinett beschließt Reform der Insolvenzanfechtung
Am 29.09.2015 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz beschlossen. Anlass hierfür ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der im Laufe der letzten Jahre insbesondere den Tatbestand der Vorsatzanfechtung immer weiter ausgedehnt hat. Da § 133 InsO eine zehnjährige Anfechtungsfrist normiert, werden als Konsequenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch Insolvenzverwalter zunehmend auch kongruente Deckungsgeschäfte aus vielen Jahren vor der Stellung des Insolvenzantrages angefochten. Die Insolvenzen der TelDaFax-Gruppe im Jahr 2011 und des FlexStrom-Konzerns im Jahr 2013 sind hierfür eindrucksvolle Beispiele.
Mit dem aktuellen Gesetzgebungsvorhaben soll mehr Rechtssicherheit geschaffen und der Geschäftsverkehr sowie Arbeitnehmer insolventer Unternehmen vor übermäßigen Belastungen geschützt werden.
Die wesentlichen Neuerungen:
1. Stärkung des Gläubigerantragsrechts (§ 14 InsO-E)
§ 14 InsO-E sieht vor, dass der Insolvenzantrag eines Gläubigers nicht allein dadurch unzulässig wird, dass der Schuldner nach Antragstellung die offene Forderung des Gläubigers bedient. Das ist zu begrüßen. Denn bislang bleibt der Antrag nach Befriedigung der Forderung nur zulässig, wenn innerhalb der letzten zwei Jahre bereits einmal ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Ansonsten bleibt den Gläubigern nur übrig, nach Befriedigung ihrer Forderung den Antrag für erledigt zu erklären, wollen sie nicht riskieren, dass der Antrag als unzulässig abgewiesen und ihnen die Verfahrenskosten auferlegt werden. Der Schuldner kann so – auch zum Nachteil der Gläubigergesamtheit – weiter wirtschaften und neue Verbindlichkeiten begründen.
Wird das Verfahren später aufgrund eines erneuten Gläubigerantrags oder eines Eigenantrags des Schuldners eröffnet, unterliegen die Zahlungen zur Begleichung der offenen Forderungen, die Grund für den Insolvenzantrag waren, in aller Regel der Vorsatzanfechtung. Die Antragstellung gereicht dem betroffenen Gläubiger sogar zum Nachteil, weil regelmäßig geltend gemacht wird, der Schuldner habe nur unter dem Druck des Insolvenzantrags gezahlt. Mit § 14 InsO-E soll die Möglichkeit für Gläubiger, auf eine frühzeitige Sachaufklärung hinzuwirken, verbessert werden.
2. Einschränkung der Inkongruenzanfechtung (§ 131 Abs. 1 Satz 2 InsO-E)
Sicherungen oder Befriedigungen sind nach § 131 Absatz 1 Satz 2 InsO-E nicht allein deshalb inkongruent, weil Gläubiger sie im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt haben. Hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, dass Gläubiger, die lediglich von den gesetzlich vorgesehenen Zwangsmitteln Gebrauch machen, nur dann um die Früchte ihrer Anstrengungen gebracht werden können, wenn sie bei der Vollstreckung Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners haben, also die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 InsO vorliegen.
3. Einschränkung der Vorsatzanfechtung von Deckungshandlungen (§ 133 Abs. 2 und 3 InsO-E)
Der Gesetzgeber beabsichtigt, die Vorsatzanfechtung von Deckungshandlungen zu beschränken und differenziert daher zwischen solchen Deckungshandlungen und sonstigen Rechtshandlungen wie etwa Vermögensverschiebungen. Für Deckungshandlungen sollen deshalb zwei Sonderregelungen in die Insolvenzordnung aufgenommen werden:
Zum einen wird in § 133 Abs. 2 InsO-E die Anfechtungsfrist von bisher zehn Jahren auf vier Jahre verkürzt und damit der Kritik Rechnung getragen, dass bei Deckungsgeschäften ein Gläubiger nicht weniger schutzwürdig ist als derjenige, der eine unentgeltliche Leistung erhält (§ 134 InsO). Die Verkürzung der Anfechtungsfrist gilt für kongruente ebenso wie für inkongruente Deckungshandlungen.
Zum anderen wird bei kongruenten Deckungshandlungen die gesetzliche Vermutung der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners abgeschwächt, indem die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht mehr genügt. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei Gewährung einer kongruenten Deckung eine geschuldete Leistung erbracht wird und dass der Schuldner vor Eintritt der Insolvenz grundsätzlich frei ist zu entscheiden, welche Forderungen er erfüllt.
Begrüßenswert ist die Neuerung in § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO-E: Hat der Gläubiger mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder ihm in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Damit sollen bewährte und effiziente Verkehrsübungen bewahrt werden, auf deren Grundlage Unternehmen vorübergehende Liquiditätsengpässe überbrücken können. Darüber hinaus sollen Gläubiger, die im Rahmen der Durchsetzung ihrer Forderung auf eine gütliche Erledigung bedacht sind und auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen mit dem Schuldner Zahlungsvereinbarungen abschließen oder diesem in anderer Weise Zahlungserleichterungen gewähren, abgesichert werden.
4. Konkretisierung des Bargeschäftsprivilegs
§ 142 InsO-E soll vollständig neu gefasst und dadurch künftig Bargeschäfte weitergehend als bisher der Vorsatzanfechtung entzogen werden. Für ihre Anfechtbarkeit müssen nicht nur die Voraussetzungen von § 133 Abs. 1 bis 3 InsO-E erfüllt sein. Vielmehr muss der Anfechtungsgegner auch erkannt haben, dass der Schuldner unlauter handelte. Das ist von besonderer Bedeutung, da genau dies in der jüngsten Rechtsprechung des BGH zur Privilegierung des bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschs im Rahmen der Vorsatzanfechtung unklar geblieben ist.
Ferner stellt § 142 Abs. 2 InsO-E klar, dass die Bestimmung der Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung sich nach der Art der ausgetauschten Leistungen richtet und dabei die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs zu berücksichtigen sind. Das ist gerade auch für die Energiewirtschaft von besonderer Bedeutung, weil aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Vorgaben die Leistung in das Vermögen des Schuldners und deren Abrechnung zeitlich deutlich auseinanderfallen können.
Schließlich beendet der Gesetzgeber den Disput zwischen BGH und BAG zur Frage, welcher Zeitraum zwischen Erbringung der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers und der Entgeltzahlung des Arbeitgebers für die nach § 142 InsO erforderliche Unmittelbarkeit unschädlich ist. Mit der Normierung des Dreimonatszeitraums bei Arbeitsentgelt gibt der Gesetzgeber dem BAG den Vorzug vor dem BGH.
Fazit
Der Entwurf der Bundesregierung greift Ansätze der Rechtsprechung zur Eindämmung der Vorsatzanfechtung auf. Das Vorhaben vermag allerdings die Anfechtungsrisiken, die sich unter anderem aus der besonderen Situation der Energieversorgungsunternehmen ergeben, nicht zu beseitigen.
Das gilt namentlich für die „Privilegierung“ kongruenter Deckungshandlungen nach § 133 Abs. 3 InsO-E. Ob die Einschränkung, dass nur die Kenntnis von einer eingetretenen (statt einer nur drohenden) Zahlungsunfähigkeit in der Praxis zu nennenswerten Veränderungen führt, darf bezweifelt werden, solange die Indizien für eine Kenntnis des Gläubigers von einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit genau dieselben sind wie für die Kenntnis einer nur drohenden Illiquidität. Das gilt insbesondere, solange Gerichte bestimmte Umstände wie etwa die Anforderung von Sicherheitsleistungen oder Vorauszahlungen als Indiz für eine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners überinterpretieren.