Quo vadis? – EuGH erklärt Preisanpassungen nach GVV für europarechtswidrig

23. Oktober 2014 um 14:24 von

road-block-453151_640Heute hat der Gerichtshof der Europäischen Union sein Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-359/11 (Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 18.05.2011, VIII ZR 71/10) und C-400/11 (Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs vom 29.06.2011, VIII ZR 211/10) verkündet. Gegenstand beider Rechtssachen waren Fragen zum deutschen Preisänderungsrecht gegenüber Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht mit Gas oder Strom beliefert werden und deren Belieferung sich deshalb nach der AVBGasV, der AVBEltV bzw. deren Nachfolgeregelung StromGVV richtete. Demgemäß war das Recht der Versorger (§ 4 Abs. 1 AVBGasV, § 5 Abs. 2 StromGVV) vorgesehen, die Strom- oder Gaspreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang der Änderungen anzugeben. Es war aber sichergestellt, dass die Kunden über die Preiserhöhung benachrichtigt wurden und den Vertrag gegebenenfalls kündigen konnten. Der Bundesgerichtshof hatte mit den genannten Vorlagebeschlüssen dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage, inwieweit eine solche Regelung den sich aus der sog. Stromrichtlinie 2003/54/EG und der sog. Gasrichtlinie 2003/55/EG ergebenden Transparenzanforderungen genüge, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Nach Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Verstoß gegen die „Stromrichtlinie“ 2003/54/EG und gegen die „Gasrichtlinie“ 2003/55/EG gegeben.

Zur Gewährleistung des sich aufgrund der Richtlinien ergebenden hohen Verbraucherschutzes müsse den Kunden nicht nur das Recht eingeräumt werden, sich im Fall von Preisänderungen aus dem Liefervertrag zu lösen, sondern auch die Befugnis, gegen die Preisänderung vorzugehen. Die Möglichkeit der Wahrnehmung dieser Rechte und einer Entscheidung über die Lösung vom Vertrag oder eines Vorgehens gegen die Preiserhöhung in voller Sachkenntnis setzt nach Meinung des Gerichtshofs der Europäischen Union voraus, dass der unter die allgemeine Versorgungspflicht fallende Kunde rechtzeitig vor dem Inkrafttreten der Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert wird. Da dies in den genannten Verordnungen nicht vorgesehen sei, verstoßen sie gegen die zitierten Richtlinien der Europäischen Union.

Eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des Urteils lehnt der Gerichtshof der Europäischen Union ab, da insbesondere nicht dargelegt worden sei, dass die Infragestellung der Rechtsverhältnisse, deren Wirkung sich in der Vergangenheit erschöpft habe, rückwirkend die gesamte Branche der Strom- und Gasversorgung in Deutschland erschüttern würde. Die Auslegung der genannten Richtlinien gilt somit für alle in ihrem zeitlichen Anwendungsbereich erfolgten Änderungen.

Man darf gespannt sein, welche konkreten Auswirkungen das Urteil auf die nationale Rechtsanwendung entfalten wird.

BGH entscheidet gegen Stadtwerke Olching

13. Oktober 2014 um 07:00 von

Strommast Ausschnitt grauVor einem Jahr hatte eine Entscheidung des OLG München für Furore gesorgt: In einem Rechtsstreit über die Übernahme des Versorgungsnetzes hatte der Alt-Konzessionär geltend gemacht, der neu abgeschlossen Konzessionsvertrag enthalte unzulässige Nebenleistungen gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 KAV. Dem war das OLG München gefolgt und hatte die Klage des Neu-Konzessionärs abgewiesen, weil der Konzessionsvertrag gemäß § 134 BGB insgesamt nichtig sei.

Eine erhebliche Aufmerksamkeit hat die Entscheidung des OLG München deshalb erlangt, weil die dort in Rede stehenden Vertragsklauseln (z.B. Unterstützung der Gemeinde bei der Erstellung eines Energiekonzepts) in zahlreichen anderen Konzessionsverträgen so oder ähnlich enthalten waren. Gerade wegen der vom OLG München angenommenen Rechtsfolge – Nichtigkeit nicht nur der in Rede stehenden Vertragsklausel, sondern des gesamten Konzessionsvertrages – ergaben sich Befürchtungen, dass zahlreiche Konzessionsverträge unter Anlegung dieses strengen Maßstabs nichtig sein würden.

Jetzt hat der BGH durch Urteil vom 07.10.2014 die Revision der Stadtwerke Olching zurückgewiesen und damit das OLG München bestätigt. Ob es sich um eine Bestätigung nur im Ergebnis oder auch in der Sache handelt, bleibt abzuwarten – die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Jedenfalls zeigt die BGH-Entscheidung einmal mehr, dass beim Abschluss von Konzessionsverträgen und damit zugleich auch zeitlich vorgelagert beim Angebot solcher Verträge im Rahmen des wettbewerblichen Bieterverfahrens höchste Vorsicht geboten ist.

BGH gesteht Regulierungsbehörden Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu

2. September 2014 um 12:41 von

wenn-dannMit Beschluss vom 22.07.2014 (EnVR 59/12) hat der BGH in Bezug auf die §§ 19, 20 ARegV entschieden, den Regulierungsbehörden bei der Bestimmung von Qualitätselementen hinsichtlich der Auswahl der einzelnen Parameter und Methoden ein Spielraum zusteht, der in einzelnen Aspekten einem Beurteilungsspielraum, in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt.

Ausgangspunkt war die Festlegung der Bundesnetzagentur (BK8-11/002) über den Beginn, die nähere Ausgestaltung und das Verfahren der Bestimmung des Qualitätselements hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit für Elektrizitätsverteilernetze nach §§ 19, 20 ARegV vom 07.06.2011. Dort hatte die Bundesnetzagentur unter anderem den Beginn der Anwendung des Qualitätselements und dessen Anwendungsbereich sowie dessen Datengrundlage festgelegt.

Der Inhalt der Festlegung war unter anderem deshalb angegriffen worden, weil nicht erkennbar gewesen sei, welche Daten die Bundesnetzagentur ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hatte. Sämtliche Einwände der Beschwerdeführerin hat der BGH in der vorstehend zitierten Entscheidung jedoch zurückgewiesen. Bei Betrachtung des Wortlauts der §§ 19, 20 ARegV ist es nicht überraschend, dass der BGH der Regulierungsbehörde sowohl einen Beurteilungs- als auch einen Ermessensspielraum zuerkannt hat.

Bemerkenswert ist allerdings, dass der BGH unter Berufung auf die jüngste Rechtsprechung des BVerwG auf eine saubere Unterscheidung zwischen den beiden Spielräumen verzichtet. Zuzugeben ist, dass sich die Kontrollmaßstäbe bei einer Überprüfung der behördlichen Entscheidung inhaltlich nicht wesentlich unterscheiden. Allerdings ist darauf zu achten, dass dadurch zukünftig nicht unter dem Deckmantel des „Regulierungsermessens“ auf eine saubere Trennung zwischen der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite verzichtet werden wird. Denn inhaltlich macht es durchaus einen erheblichen Unterscheid, ob bereits der Tatbestand einer Norm nicht erfüllt ist und deshalb ein Einschreiten der Behörde von vorneherein ausscheidet oder ob die Behörde (lediglich) eine falsche Rechtsfolge angeordnet hat. Insofern ist das Aufweichen dieser nicht grundlos existierenden Grenzen nicht wünschenswert.

Neues zur Billigkeitsprüfung bei Netz(nutzungs)entgelten

27. August 2014 um 13:49 von

NetzWer gedacht hatte, dass das Thema „Billigkeitsprüfung bei Netz(nutzungs)entgelten“ inzwischen rechtlich endgültig abgearbeitet worden ist, der irrt. Dies zeigen jüngst veröffentlichte Entscheidungen des BGH unter den Kurzbezeichnungen Stromnetznutzungsentgelt VI und VII. Darüber hinaus hat das OLG Düsseldorf in einem Urteil vom 13.08.2014 die BGH-Entscheidung Stromnetznutzungsentgelte V weiter konkretisiert:

In Stromnetznutzungsentgelt VI (KZR 27/13) bestätigt der BGH unsere Argumentation aus den ersten beiden Instanzen, dass die Rechtsprechung zur Indizwirkung genehmigter Netzentgelte nicht in sozusagen umgekehrter Richtung gilt, also nicht etwa das aufsichtsbehördlich genehmigte Netzentgelt die Unbilligkeit des höheren, zuvor unter der VV II plus verlangten Netznutzungsentgelts indiziert. Jedenfalls reiche, so der BGH, die im konkreten Verfahren festgestellte Abweichung der Netzentgelte von 9,75 % für eine solche negative Indizwirkung nicht aus. Darüber hinaus erteilt der BGH überzogenen Anforderungen an die Netzbetreiber, wie detailliert sie ggf. ihre Kostenkalkulation offen zu legen haben, eine Absage. Vielmehr reicht es aus, wenn die angesetzten Kosten im Einzelnen aufgeführt werden und darüber hinaus dargelegt wird, an Hand welcher Methoden diese Kosten aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung abgeleitet wurden (Textziffer 29 der Entscheidung Stromnetznutzungsentgelt VI).

Im Fall Stromnetznutzungsentgelte VII (KZR 13/13) bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zur Verjährung von Ansprüchen auf Rückzahlung von Netzentgelten. Der BGH stellt unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss aus dem Jahre 2009 klar, dass der Beginn der allgemeinen Verjährung nicht wegen einer unübersichtlichen oder zweifelhaften Rechtslage hinausgeschoben war, sondern nach den allgemeinen Regeln am Ende des Jahres zu laufen begonnen hat, in welchem die vermeintlich überhöhten Netzentgelte geleistet wurden.

Allerdings lösen Abschlagszahlungen, die nicht auf einzelne Teilleistungen bezogen werden können, noch nicht den Beginn der Verjährung aus. Nach den Ausführungen des BGH dürfte die Verjährung bei der Netznutzung zur Belieferung von Standardlastprofilkunden typischerweise am Ende des Jahres beginnen, in welchem die Jahresrechnung gelegt worden ist. Bei RLM-Kunden dürfte es im Regelfall jedoch auf die einzelnen Monatsrechnungen ankommen, da diese auf einzelne monatliche Teilleistungen bezogen werden können.

Schließlich hat das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 13.08.2014 (VI-2 U 2/13) die Berufung eines besonders klagefreudigen Netznutzers mit Sitz in Hamburg gegen eine klageabweisende Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf zurückgewiesen. Im dortigen Fall ging es um die Rückforderung aufsichtsbehördlich genehmigter Netzentgelte.

Auch hier bestätigt das OLG Düsseldorf unsere Argumentation aus der ersten Instanz. Es nimmt dabei vor allem Bezug auf die Rechtsprechung des BGH aus der Entscheidung Stromnetznutzungsentgelte V zur Indizwirkung der aufsichtsbehördlich erteilten Entgeltgenehmigung. Aufgrund dieser Indizwirkung ist der Netznutzer im Rückforderungsprozess nach Ansicht des OLG Düsseldorf

„…mit allen Argumenten ausgeschlossen, die sich auf die generellen Schwächen der Datenerhebung sowie die generelle Dichte und Tiefe der Prüfung durch die Bundesnetzagentur beziehen.“

Vielmehr müssten darüber hinausgehende Umstände des konkreten Einzelfalls vorgetragen werden, um die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung insgesamt zu erschüttern.

Da die Klägerin nichts dergleichen vorgetragen hatte, hat das OLG Düsseldorf konsequenterweise die Berufung zurückgewiesen. Es hat aber die Revision zugelassen. Womöglich können wir also an dieser Stelle demnächst über das BGH-Urteil Stromnetznutzungsentgelt VIII berichten.

Mitmieter müssen auch mithaften! – Update zum konkludenten Vertragsschluss durch Energieentnahme

28. Juli 2014 um 07:15 von

bgh_front2Inzwischen ist die bereits angekündigte Entscheidung des BGH in dem Verfahren VIII ZR 313/13 zu der Frage, mit wem ein Vertrag durch die Entnahme von Energie zustande kommt, wenn ein schriftlicher Vertrag nicht geschlossen wurde und das versorgte Grundstück vermietet oder verpachtet ist, ergangen. Und dies mit einem (mehr oder weniger) erstaunlichen Ergebnis!

Mit Urteil vom 22.07.2014 hat der BGH entschieden, dass Mieter, die den Mietvertrag mitunterschrieben haben, selbst dann für die an der Anschlussstelle entnommene Energie haften, wenn sie selbst nie in dem Haus oder der Wohnung gelebt und keine Energie entnommen haben.

In dem vom BGH nun entschiedenen Fall nahm ein Versorgungsunternehmen die Beklagte als Mitmieterin eines Einfamilienhauses auf Zahlung von ca. 7.000,00 € für in den Jahren 2005 bis 2008 gelieferte Gasmengen in Anspruch. Die Beklagte hatte jedoch nie in dem Haus gelebt und soll noch nicht einmal Schlüssel dazu besessen haben. Das Haus wurde während des gesamten Zeitraums allein von ihrem (Ex-)Mann bewohnt. Da die Beklagte als Beamtin gut verdiente, hatte sie den Mietvertrag des Mannes aus „Bonitätsgründen“ mitunterschrieben. Diese Unterschrift ist ihr nun teuer zu stehen gekommen, denn der BGH hat der Zahlungsklage des Versorgungsunternehmens, die von der Berufungsinstanz (KG Berlin, Urteil vom 10.10.2013 – 22 U 233/12) noch abgewiesen wurde, stattgegeben.

In seiner Pressemitteilung (Nr. 116/2014) hat der BGH hierzu bekannt gegeben, dass sich das Angebot des Versorgungsunternehmens auf Abschluss eines Versorgungsvertrages, die Realofferte, typischerweise an denjenigen richtet, der nach außen erkennbar die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt. Hierbei komme es nicht maßgeblich auf die Eigentümerstellung an, sondern auf die Zugriffsmöglichkeit auf den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt. Im Falle eines vermieteten oder verpachteten Grundstücks stehe die tatsächliche Verfügungsgewalt den Mietern zu. Mangels anderer Anhaltspunkte richte sich deshalb auch die Realofferte des Versorgungsunternehmens regelmäßig an sämtliche Mieter.

Nimmt einer der Mieter das Angebot des Versorgungsunternehmens durch sozialtypisches Verhalten (Energieentnahme) an, schließt er dadurch sowohl für sich selbst als auch, wenn auch nicht explizit, sondern abermals konkludent, im Wege der Stellvertretung – jedenfalls kraft Duldungsvollmacht – für die anderen Mitmieter einen Versorgungsvertrag ab.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte es geduldet, dass ihr Mann alleine in das gemeinsam gemietete Haus einzog. Dabei hätte ihr klar sein müssen, dass die Nutzung des Hauses auch zwingend die Benutzung der Heizung bedeutete und ihr Mann durch die Entnahme des Gases einen Versorgungsvertrag mit dem Gaslieferanten schloss. Indem sie dies duldete, kam auch zwischen ihr und dem Versorgungsunternehmen ein Vertragsverhältnis zustande, aufgrund dessen das Versorgungsunternehmen nun die Zahlung des Entgelts für die gelieferten Gasmenge in Höhe von fast 7.000,00 € von der Beklagten verlangen kann.

Die Entscheidung des BGH vom 22.07.2014 ist insoweit erstaunlich, als der BGH zuletzt in seiner Entscheidung vom 02.07.2014 (VIII ZR 316/13) noch stark darauf abgestellt hatte, wer tatsächlich Zugriff auf den Anschluss und die Energie verbraucht hatte. In der Entscheidung vom 22.07.2014 hatte die Beklagte jedoch tatsächlichen keinen Zugriff auf den Anschluss. Zudem wurde die Duldungsvollmacht aus Vertrauensschutzgedanken entwickelt. Der Vollmachtgeber muss den Anschein der Bevollmächtigung gegenüber demjenigen verantworten, der darauf gutgläubig vertraut hat. Ob diese Voraussetzungen im Falle der Beklagten gegenüber dem Versorgungsunternehmen tatsächlich vorliegen, erscheint zumindest zweifelhaft. Es bleibt daher abzuwarten, was der BGH hierzu in seinen Urteilsgründen, die noch nicht veröffentlicht sind, ausführen wird. Eine tatsächliche „Präzisierung“ der Rechtsprechung in diesem Bereich, wie der BGH es selbst in seiner Pressemitteilung angab, ist mit diesem Urteil jedenfalls nicht erreicht worden.