BGH zu Ersatzbelieferungen
Mit Urteil vom 17.09.2024 (Az. EnZR 57/23) hat sich der BGH erstmals mit der Frage nach dem Umgang mit von einem kurzfristigen Lieferantenausfall betroffenen Letztverbrauchern beschäftigt, die wegen eines Strombezugs in höheren Spannungsebenen nicht in den Anwendungsbereich der Grund- und Ersatzversorgung gemäß §§ 36, 38 EnWG fallen. Gegenstand der Entscheidung war insbesondere die richtige bilanzielle Zuordnung der betreffenden Marktlokationen und die sich daran anschließende Frage, welcher Lieferant die Marktlokationen beliefert.
Der BGH hat unter Bezugnahme auf die Vorgaben der GPKE entschieden, dass entweder eine Meldung an den Ersatzbelieferer zu veranlassen oder der Netzanschluss zu unterbrechen sei. Da die betreffenden Letztverbraucher in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall keine vertragliche Vereinbarung mit einem Ersatzbelieferer getroffen hatten und eine sofortige Sperrung des Anschlusses nach den Feststellungen des BGH zum einen nur mit einem gewissen Zeitaufwand möglich sei und zum anderen ohnehin nur als Ultima Ratio in Betracht komme, bedürfe es – so der BGH – jedenfalls für eine zur Umsetzung der Sperrung erforderliche Übergangszeit einer Bilanzkreiszuordnung der betroffenen Marktlokationen. Diese Zuordnung müsse der Netzbetreiber diskriminierungsfrei nach sachlichen Kriterien vornehmen. Dabei müsse er insbesondere die Netzstabilität, die Versorgungssicherheit und sonstige Interessen der betroffenen Letztverbraucher berücksichtigen.
Vor diesem Hintergrund sei es sachlich gerechtfertigt, wenn ein Netzbetreiber die lieferantenlosen Marktlokationen in höheren Spannungsebenen einem Energieversorgungsunternehmen zuordne, das aus seiner Sicht nach den vorstehenden Kriterien voraussichtlich am besten in der Lage sei, die Versorgung des jeweiligen Letztverbrauchers kurzfristig sicherzustellen. Dies gälte nicht nur bei einer bereits erfolgten Beendigung der Belieferung des Letztverbrauchers durch seinen Vertragslieferanten, sondern auch dann, wenn der alte Liefervertrag noch einige Tage weiterlaufe. In dem letztgenannten Fall sei die betreffende Marktlokation übergangsweise auch über das Vertragsende hinaus weiterhin dem Altlieferanten zuzuordnen. Dieser wisse aufgrund des bestehenden Lieferverhältnisses regelmäßig, wer sein Schuldner sei, und könne daher zivilrechtliche Ansprüche leichter durchsetzen. Zudem werde die letzte rechtliche Lieferbeziehung während eines vertragslosen Zustands durch weitere Stromentnahmen faktisch nahtlos fortgeführt.
Im Ergebnis hat der BGH dem Netzbetreiber damit ein Wahlrecht im Sinne eines Auswahlermessens eingeräumt, dieses Ermessen aber gleichzeitig für die Konstellationen, in denen ein Letztverbraucher zum Zeitpunkt des Ausfalls seines (neuen) Lieferanten noch von einem Altlieferanten versorgt wird, auf null reduziert. Zwar hatte die BGH-Entscheidung einen Sachverhalt zum Gegenstand, in dem die „lieferantenlosen“ Kunden in der Mittelspannung versorgt wurden. Der BGH bezieht sich in seinen Ausführungen aber nicht nur auf die Mittelspannung, sondern auf höhere Spannungsebenen im Allgemeinen, weshalb es keinen Unterschied machen dürfte, ob ein Letztverbraucher in der Mittel- Hoch- oder Höchstspannungsebene Strom bezieht. Für den Umfang mit höheren Druckebenen im Gasbereich dürfte die Entscheidung ebenfalls von Bedeutung sein.
Die BGH-Entscheidung hat zumindest für einen Teil der seit Jahren diskutierten Fragen im Zusammenhang mit der kurzfristigen Notfallversorgung außerhalb des Anwendungsbereichs von §§ 36, 38 EnWG Klarheit gebracht. Es stellt sich aber nach wie vor die Frage, wie die Belieferung der Letztverbraucher durch den nach den vorstehenden Kriterien bestimmten „Notfalllieferanten“ dogmatisch einzuordnen ist und welche Preise der Lieferant für den Übergangszeitraum gegenüber dem Letztverbraucher abrechnen kann. Beide Fragen hatte der BGH in seinem Urteil vom 17.09.2024 nicht zu entscheiden. Insofern bleibt also die weitere Entwicklung abzuwarten.